Darmstadt
Abschiebehaft Hessen: Familientrennungen in vielen Fällen kindeswohlgefährdend
Jana Müller-DetertAuch 2023 befanden sich wieder einige Menschen in der Abschiebungshaft Darmstadt, die in ihren Herkunftsländern Verfolgung ausgesetzt sind und erst in letzter Minute vor der Abschiebung in diese Länder bewahrt werden konnten.25.04.2024 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Die Diakonie Hessen appelliert daher an die hessische Landesregierung und ihre zuständigen Ministerien und Behörden, klare Regeln zu erlassen, damit es zu solchen Trennungen der Kinder von ihren Eltern durch den Abschiebungsprozess - inklusive der Abschiebungshaft - zukünftig nicht mehr kommt.
„Kinder und Jugendliche gehören nicht in Abschiebungshaft. Diese Tatsache darf jedoch nicht dazu führen, dass stattdessen Familien auseinandergerissen werden“, so Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen.
„Die hessische Abschiebungspraxis macht leider keinen Halt vor Familientrennungen. Häufig wird ein Elternteil zum Zweck der Sicherung der Abschiebung inhaftiert, während das Kind beim anderen, nicht inhaftierten, Elternteil verbleibt. In manchen Fällen kommt es sogar zu einer Trennung des Kindes von beiden Elternteilen,“ so der Vorstandsvorsitzende weiter. Besonders tragisch war demnach der Fall eines 6 Monate alten Mädchens, dessen Vater im Sommer 2023 inhaftiert wurde, während die Mutter aufgrund einer schweren Erkrankung für längere Zeit im Krankenhaus lag. Mit Verweis auf die Betreuung des Mädchens durch seine Tanten ordnete das Amtsgericht dennoch an, ihren Vater in Abschiebungshaft zu nehmen.
Familientrennungen nicht zulässig
„Solche Trennungen verstoßen gegen den Schutz der Familie nach Artikel 6 Grundgesetz. Dies ist ein Ergebnis unseres Jahresberichts. Damit sind Familientrennungen aus unserer Sicht verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht betont seit Jahren, dass der spezifische Erziehungsbeitrag eines Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder anderer Betreuungspersonen entbehrlich werde, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes hat,“ ergänzt Stefanie Dorn. Außerdem könnten gerade sehr kleine Kinder den vorübergehenden Charakter einer Trennung von ihren Eltern nicht begreifen und würden diese als endgültig wahrnehmen. Unter diesen Umständen sei eine Trennung für die Kinder unzumutbar. Entreißt man den Kindern dennoch einen Elternteil, und sei es nur vorübergehend, verstoße dies gegen Artikel 6 Grundgesetz.
„Es ist höchste Zeit, dieser Inhaftierungspraxis ein Ende zu setzen. Die hessischen Ausländerbehörden haben es selbst in der Hand, bei wem sie Abschiebungshaft beantragen und bei wem nicht“ , so Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
„Sie haben jederzeit auch die Option, davon Abstand zu nehmen. Der hessischen Landesregierung wiederum steht nichts im Weg, einen entsprechenden Erlass auf den Weg zu bringen, damit hessenweit strukturell sichergestellt wird, dass Ausländerbehörden keine Abschiebungshaft beantragen, wenn dadurch Kinder von ihren Eltern getrennt würden.“ Dabei dürfe nicht aus dem Blick geraten, dass die durch Abschiebungshaft herbeigeführte Familientrennung nicht mit der Abschiebung endet. Vielmehr setze sich die Trennung nach der Abschiebung regelmäßig auf unbestimmte Zeit oder sogar auf Dauer fort. „Unter diesen Umständen darf weder Abschiebungshaft angeordnet noch darf die Abschiebung durchgeführt werden,“ sagt Lipsch abschließend.
Traumatisierende Erfahrungen durch Abschiebung
„Erschwerend hinzu kommen die oftmals schrecklichen Szenen, die sich bei der Festnahme eines Elternteils durch die Polizei vor den Augen der Kinder abspielen. Kinder müssen miterleben, wie die Polizei mitten in der Nacht unangekündigt die Wohnung betritt, die Familie aus dem Schlaf reißt und einen Elternteil abführt. Das sind Szenen, die sich in das Gedächtnis der Kinder einbrennen, sie nie wieder loslassen werden und sie nachhaltig traumatisieren können. Das kann und darf Kindern nicht zugemutet werden“, so Beraterin Stefanie Dorn von der Diakonie Hessen. „Hessen hat sich zum Ziel gesetzt, die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention zu fördern. Das Kapitel Eltern-Kind-Trennungen durch Abschiebungen darf hier nicht ausgespart werden.“
Hintergrund Abschiebungshaft
Auch im Jahr 2023 befanden sich wieder einige Menschen in Abschiebungshaft, die in ihren Herkunftsländern Verfolgung ausgesetzt sind und die nur in letzter Minute vor der Abschiebung in diese Länder bewahrt werden konnten. Dies wäre ohne die kirchlich finanzierte Beratung und den daran angegliederten Rechtshilfefonds, der auch anwaltliche Begleitung ermöglicht, nicht möglich gewesen. Das gilt auch für die zahlreichen Haftbeschwerden, die die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung zum alleinigen Zweck der Abschiebung in Frage stellen. Der Großteil der Haftbeschwerdeverfahren ist noch bei den Gerichten anhängig. Die Haftbeschwerden, über die bereits entschieden wurde, legen jedoch nahe, dass Inhaftierungen in der Abschiebungshaft Darmstadt zu einem großen Anteil rechtswidrig waren (erfolgreiche Haftbeschwerden in 2021/22: 8 von 10 entschiedenen Verfahren, 32 anhängige Verfahren; in 2023: 4 von 5 entschiedenen Verfahren, 29 anhängige Verfahren).
Unabhängige Haftberatung für Inhaftierte der Abschiebungshaft in Darmstadt
Seit September 2021 bietet die Diakonie Hessen dank der von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bereitgestellten Mittel eine staatlich unabhängige Rechtsberatung für Inhaftierte in der Abschiebungshaft Darmstadt an. Der an das Beratungsprojekt angegliederte Rechtshilfefonds ermöglicht die Vermittlung an im Migrationsrecht erfahrene Anwältinnen und Anwälte. Für Gefangene in der Abschiebungshaft ist dies weiterhin wichtig, da die kürzlich ins Gesetz eingeführte Pflichtbeiordnung anwaltlicher Vertretung für Abschiebungshaftgefangene noch viel Unklarheit mit sich bringt und den Beratungsbedarf bei Weitem nicht vollumfänglich abdecken kann.
Jahresbericht 2023 der unabhängigen Haftberatung für Inhaftierte der Abschiebungshaft in Darmstadt
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