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Offener Brief

Abschiebung nach Somalia: Zivilgesellschaftliches Bündnis kritisiert Tabubruch in Hessen

Pixabay

In einem Offenen Brief an die hessische Landesregierung fordert das Bündnis: Hessen soll einen sofortigen dreimonatigen Abschiebestopp nach Somalia verhängen. Dies kann jedes Bundesland ohne Beteiligung des Bundes selbst entscheiden. Darüber hinaus soll sich der Hessische Innenminister bei der kommenden Innenminister*innen-Konferenz im Juni dafür einsetzen, dass ein solcher Abschiebestopp auch bundesweit beschlossen wird.

Zum Bündis gehören der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen, die Diakonie Hessen, der Hessische Flüchtlingsrat und Pro Asyl, der Offene Brief richtet sich an den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, den Stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir, den Innenminister Peter Beuth und die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen Ines Claus und Mathias Wagner.

Anlass des Schreibens ist die Abschiebung von Omar F. aus Hessen ins von Bürgerkrieg und Terror zerrüttete Somalia, der für die unterzeichnenden Organisationen ein Tabubruch ist. Omar F. lebte schon fast acht Jahre in Deutschland, verdiente seinen Lebensunterhalt als Maschinenführer bei einem Recyclingbetrieb und hätte schon in wenigen Monaten die Voraussetzungen für verschiedene Bleiberechtsregelungen erfüllt, wie sie der Bundesgesetzgeber ausdrücklich vorsieht, um gute Integrationsleistungen zu honorieren und vor allem auch Geduldete in Arbeit vor einer Abschiebung zu schützen.

Anstatt ihm diese gesetzlich vorgesehene Perspektive zu bieten, hat Hessen Omar F. Mitte Februar zwangsweise in ein Land zurückgeführt, das auf dem Index der weltweit fragilsten Staaten auf Platz zwei steht.

Das zivilgesellschaftliche Bündnis appelliert an die Verantwortlichen, diese Entscheidung zu revidieren und Omar F. eine Wiedereinreise zu ermöglichen, die nicht zuletzt auch im Sinne seines Arbeitgebers wäre.

Abschiebungen nach Somalia waren bis 2018 faktisch ausgesetzt und auch in den Folgejahren wurden ausschließlich als Straftäter und Gefährder kategorisierte Männer abgeschoben. „Jetzt wurde in Hessen eine rote Linie überschritten, indem mit Omar F. ein Mensch abgescho­ben wurde, der nicht nur keine Straftaten verübt hat, sondern bestens integriert war“, heißt es in dem Offenen Brief. „Dies ver­unsichert die gesamte somalische Community zutiefst, die bundespolitisch gerade noch das Signal erhalten hatte, zu den Gruppen mit einer sogenannten guten Bleibeperspektive zu gehören. Es ist höchste Zeit, dieser Verängstigung entgegenzuwirken und die Situa­tion in Somalia anzuerkennen.“

Offener Brief als pdf

Offener Brief im Wortlaut

Ministerpräsident Volker Bouffier

Stellvertretender Ministerpräsident Tarek Al-Wazir

Innenminister Peter Beuth

Ines Claus, Vorsitzende der CDU-Fraktion

Mathias Wagner, Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen

per E-Mail

Frankfurt, den 17.03.2021

Offener Brief: keine Abschiebungen mehr nach Somalia!

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Bouffier,

sehr geehrter Herr Stellvertretender Ministerpräsident Al-Wazir,

sehr geehrter Herr Innenminister Beuth,

sehr geehrter Frau Fraktionsvorsitzende Claus,

sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Wagner,

Mitte Februar wurde Omar F., der fast acht Jahre in Deutschland gelebt hat, aus Hessen in das von Bürgerkrieg und Terror zerrüttete Land Somalia abgeschoben. Omar F. war ein Teil unserer Gesellschaft und bereits seit drei Jahren in Vollzeit beschäftigt.

Diese Abschiebung ist ein Tabubruch. Es ist nicht hinnehmbar, dass Hessen als erstes Bundesland einen gut inte­grierten Menschen, der sich nichts hat zu Schulden kommen lassen, in eine lebensgefähr­dende Situation abschiebt.

Schon im November 2013 ist Omar F nach Deutschland gekommen. Bis 2017 dauerte es, bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über seinen Asylantrag entschieden und ihn ab­lehnt hat; noch einmal bis März 2020, bis er auch im Klageverfahren vor dem Verwaltungsge­richt scheiterte. Doch in diesen vielen Jahren hat Omar hier Fuß gefasst, sich trotz seiner unsicheren Situation eine Arbeit als Maschinenführer bei einem Recyclingbetrieb gesucht.

Er verdiente seinen Lebensunterhalt seit drei Jahren selbst und wurde von Vorgesetzten und Kolleg*innen geschätzt. In wenigen Monaten hätte er eine Beschäftigungsduldung oder sogar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b des Aufenthaltsgesetzes erhalten können.

Diese Rege­lungen hat der Bundesgesetzgeber ausdrücklich für Fälle wie Omar F. vorgesehen, um gute Integrationsleistungen zu honorieren, aber auch um Arbeitgeber die zugesagte Sicherheit zu vermitteln, dass ihre Beschäftigten nicht abgeschoben werden.

Mitte letzten Monats wollte Omar F. seine Duldung bei der Ausländerbehörde verlängern las­sen, als er überraschend festgenommen, in die Darmstädter Abschiebungshaft gebracht und bereits nach zwei Tagen mit einem Linienflug der Qatar Airways nach Mogadischu abgescho­ben wurde.

Die Umstände seiner Abschiebung werfen Fragen auf.

Wieso wurde jemand, der offensichtlich nicht flüchtig war, einen festen Wohnsitz und eine Arbeitsstelle hatte, in Abschiebungshaft ge­nommen? Hat die Ausländerbehörde die gesetzlich bald mögliche und politisch gewollte Auf­enthaltssicherung gezielt ignoriert?

Der Arbeitgeber hätte seinen Mitarbeiter gerne wieder sofort im Betrieb. Doch es wird so gut wie unmöglich für Omar sein, nach Deutschland zurückzukehren. Arbeitsvisa für eine »unqualifizierten Tätigkeit«, wie er sie hatte, werden in der Regel nicht erteilt, unabhängig davon, ob der Lebensunterhalt selbstständig gesichert werden kann.

Sofern allerdings der politische Wille für eine Korrektur dieser unverhältnismäßigen Abschiebung bestünde, böte § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine Möglichkeit, wonach in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen vom Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden kann. Nicht nur davon müsste jetzt Gebrauch gemacht werden.

Ferner müsste die mit der Abschiebung verhängte Wiederein­reisesperre aufgehoben und ihm müssten die Abschiebungskosten erlassen werden, die sonst vor einer Wiedereinreise abzuzahlen wären.

Wir sind der Ansicht, dass von Abschiebungen nach Somalia generell abgesehen werden muss – insbesondere in Zeiten der Pandemie, welche die ohnehin verheerende Situation in Somalia noch weiter verschärft hat.

Somalia steht auf dem zweiten Platz des Indexes der weltweit fragilsten Staaten. Die letzten demokratischen Wahlen fanden vor 52 Jahren statt. Die für dieses Jahr vorgesehene Wahlen wurden verschoben. In der Hauptstadt Mogadischu – in die Omar F. abgeschoben wurde – kommt es aktuell nicht zuletzt deswegen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Auch die is­lamistische Terrormiliz Al-Shabaab verübt regelmäßig tödliche Anschläge.

Darüber hinaus hat die gesamte Region seit letztem Jahr mit einer großen Heuschreckenplage zu kämpfen. Schon vorher war ein Drittel der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Durch die aktuelle Katastrophe hat sich die Situation nun noch weiter verschärft.

Neben alldem kämpft die Bevölkerung auch dort gegen das Coronavirus. Somalia hat eines der marodesten Gesundheitssysteme der Welt: Auf 1.000 Einwohner*innen kommen 0,028 Ärzt*innen, es gibt im gesamten Land nur 25 Intensivbetten und ein einziges Beatmungsgerät. Expert*innen gehen wegen fehlender Testkapazitäten von einer hohen Dunkelziffer bei den Infektionszahlen aus.

Abschiebungen nach Somalia waren bis 2018 faktisch ausgesetzt und auch in den Folgejahren wurden ausschließlich als Straftäter und Gefährder kategorisierte Männer abgeschoben.

Jetzt wurde in Hessen eine rote Linie überschritten, indem mit Omar F. ein Mensch abgescho­ben wurde, der nicht nur keine Straftaten verübt hat, sondern bestens integriert war. Dies ver­unsichert zurzeit die gesamte somalische Community zutiefst, die bundespolitisch gerade noch das Signal erhalten hatte, zu den Gruppen mit einer sog. gute Bleibeperspektive zu ge­hören. Es ist höchste Zeit, dieser Verängstigung entgegenzuwirken und die desaströse Situa­tion in Somalia anzuerkennen.

Darum fordern wir Sie auf, einen hessischen Abschiebestopp für Somalia zu verfügen und sich bei der kommenden Innenminister*innen-Konferenz im Juni für einen bundesweiten Abschiebestopp einzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Yasmin Alinaghi, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Hessen

Andreas Lipsch, Vorsitzender der BAG PRO ASYL

Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats

Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen

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