Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende
Bewegende Schicksale in Ingelheim
Erika von BassewitzWeiß noch nicht, wo sie die Nacht verbringen wird: Eine Mazedonierin wartet im Ingelheimer Flüchtlingsheim06.03.2014 evb Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Verhaftet wurde er schon oft, in letzter Zeit hat er auch Todesdrohungen erhalten. Der Grund: Said Yousif al-Muhafdah setzt sich für Menschenrechte ein, hat in Genf und in Brüssel darüber geredet. „Wenn ich zurück nach Bahrain gehe, dann wäre ich in Gefahr, gefoltert und eingesperrt oder sogar getötet zu werden, “ sagt der junge Mann aus dem Persischen Golf auf Englisch. Deshalb hat er mit seiner Frau und den beiden Kindern jetzt in Deutschland Asyl beantragt. Für Menschenrechte will er sich aber weiter engagieren.
„Es ist sehr hart, die eigene Heimat und Familie zu verlassen“
„Es ist sehr hart, die eigene Heimat und Familie zu verlassen“, berichtet die 18-jährige Marjam Rahmat, die so ernst wirkt, dass man sie auf Ende zwanzig schätzt. Sie ist mit ihrem Vater nach Deutschland geflohen. In Afghanistan sollte sie gegen ihren Willen mit einem 60-jährigen Mann verheiratet werden, außerdem bedrohte die Taliban ihren Vater. Er hatte mit der Regierung zusammen gearbeitet. „Ich will hier studieren und später arbeiten und ein guter Teil der Gesellschaft sein, “ sagt die Afghanin.
Wohnheim neben dem Abschiebegefängnis
Der Menschrechtsaktivist und die junge Frau haben eines gemeinsam: Sie wohnen mit mehr als hundert anderen Flüchtlingen in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Ingelheim, einer Ansammlung von Baracken, die ursprünglich für schwererziehbare Jugendliche gebaut wurde. Davon zeugt noch immer der mehrere Meter hohe Zaun rund um das Gelände. „Die Flüchtlinge dürfen gehen und kommen, wann und wie sie wollen“, beteuert ein Mitarbeiter in Polizeiuniform. Sie müssen nur das hohe Drehkreuz passieren und sich dabei jedes Mal ausweisen – auch wenn sie hinausgehen. Wenige Meter hinter dem Zaun drohen die grauen Betonmauern des Abschiebegefängnisses, im Behördendeutsch „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“.
Menschen sind traumatisiert
„Wir setzen uns als Kirche schon lange dafür ein, dass die Abschiebehaft abgeschafft wird, “ erklärt Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. „Mir liegt die Flüchtlingsthematik sehr am Herzen.“ Deshalb investiert die evangelische Landeskirche 500.000 Euro in die regionale Flüchtlingsarbeit. In Ingelheim wurde eine neue Flüchtlingsberaterin angestellt. Das sei zwar gut, aber nicht genug für 160 Menschen, erklärt Andreas Lipsch, der Interkulturelle Beauftragte von der Diakonie. Die Menschen seien oft mehrfach traumatisiert, zunächst in ihrem Heimatland, dann auf der Flucht und schließlich im Aufnahmeland.
Lieber sterben als zurück nach Norwegen
Der junge Somali Lali Mohamed Shekue etwa hat zuerst in Norwegen Asyl beantragt. Wegen eines Nierenleidens benötigt er medizinische Unterstützung, die ihm in Skandinavien nicht vom Staat gewährt wurde - und die er sich von den umgerechnet weniger als 200 Euro monatlicher Unterstützung dort nur mit großen Entbehrungen leisten konnte. Arbeiten durfte er in Norwegen nicht, eine Cola kostet im Restaurant oft um die acht Euro. Statt Essen oder warmer Kleidung hat er sich dann eben Medizin gekauft. Manchmal hatte er auch Hunger und auf die Medizin verzichtet. Jetzt sagt Shekue: „Lieber sterbe ich in Somalia, als dass ich nach Norwegen zurückgehe.“ Er hofft, dass er in Deutschland bleiben und arbeiten darf.
Ministerin verspricht Sprachkurse und schnellere Arbeitserlaubnis
Derzeit warten Asylbegehrende in der Regel gute neun Monate auf eine Arbeitserlaubnis. Diese Wartezeit will die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Irene Alt (Bündnis 90/Die Grünen) auf drei Monate verkürzen. „Ich will, dass die Integrationskurse auch Flüchtlingen offenstehen“, so Alt am Mittwoch in Ingelheim. Damit ist sie weitgehend auf einer Linie mit Kirche und Diakonie. Die Abschiebehaft will sie abschaffen, und auch das Asylbewerberleistungsgesetz: „Dafür kämpfe ich vor dem Bundesverfassungsgesetz.“ Bis es soweit ist, wünscht sich Lipsch mehr Integration. „Mindeststandards und Wohnungen in der Nähe des Gemeinwesens wären gut“, bemerkt er. Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende liegt zentral zwischen Autobahn und Industriegebiet. Ein Auto besitzt hier keiner der Bewohner.
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