Rechtshilfefonds
Dublin-Abschiebungen: Den Kreislauf durchbrechen
fotojog/Istock09.07.2020 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Seit Anfang Juni 2020 wird wieder abgeschoben, sowohl in die Herkunftsländer als auch in europäische Länder, die aufgrund der Dublin III-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sind. Carsten Tag: „Immer wieder zeigt sich, dass Menschen, die aus der Abschiebungshaft in Ingelheim in ein anderes europäisches Land abgeschoben werden, wieder nach Deutschland zurückkehren, manchmal sogar mehrfach. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden.“ Die Mainzer Diözesancaritasdirektorin Nicola Adick appelliert: „Mit der Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Deutschland muss auch die Dublin-Verordnung auf den Prüfstand. Dass Menschen, die Schutz suchen und einen sicheren Ort, oft über Jahre von einem europäischen Land ins nächste verschoben werden, ist nicht hinnehmbar. Diese Abschiebungen und Wiedereinreisen führen zudem zu unverhältnismäßig hohen Kosten.“
Auswertung des ökumenischen Rechtshilfefonds: 25 Menschen zu Unrecht in Haft
Dublin-Abschiebungen sind auch ein Faktor in der Auswertung des Rechtshilfefonds für das Jahr 2019, den evangelische und katholische Verbände für Inhaftierte in der Abschiebungshaft in Ingelheim zur Verfügung stellen. Von den 60 im letzten Jahr bezuschussten Fällen betrafen 43 Inhaftierte, die in ein anderes europäisches Land abgeschoben werden sollten. In 43 Prozent der bezuschussten 60 Fälle wurde die Haft aufgehoben oder erwies sich im Nachhinein als rechtswidrig. „Diese hohe Fehlerquote der Haftbeschlüsse zeigt erneut, dass ein ökumenisches Engagement nötig ist“, so die gemeinsame Schlussfolgerung von Diözesancaritasdirektorin Nicola Adick und dem Vorstandsvorsitzenden Carsten Tag von der Diakonie Hessen. „Dass mindestens 25 Personen zu Unrecht in Haft saßen, ist menschenrechtlich nicht hinnehmbar“, so Tag und Adick abschließend unisono.
Neben dem Rechtshilfefonds finanzieren Diakonie und Caritas seit 2001 auch eine unabhängige Beratungsstelle, eine wöchentliche Sprechstunde mit Fachanwält*innen, die den Inhaftierten kostenlos zur Verfügung stehen und beauftragen, wenn nötig, Sprachmittler*innen.
Fallbeispiel: Subsidiärer Schutz nach Asylantragstellung
Die Wichtigkeit der rechtlichen Beratung zeigt das Beispiel der 19-jährigen J. aus Tadschikistan.
J. lebte mit ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters bei ihrem Onkel. Von diesem wurde sie regelmäßig körperlich misshandelt und sollte schließlich mit einem alten Mann zwangsverheiratet werden. Der zukünftige Ehemann versuchte, sie zu vergewaltigen. J. verweigerte sich, was brutale Schläge des Onkels zur Folge hatte. In ihrer aussichtslosen Situation unternahm sie einen Selbstmordversuch. Mit finanzieller Unterstützung der Mutter reiste J. schließlich mit einem Visum nach Deutschland. Sie blieb hier, auch nach Ablauf des Visums. Wegen des illegalen Aufenthaltes wurde sie schließlich aufgegriffen und am 25.Oktober 2019 in die Abschiebungshaft nach Ingelheim gebracht. Je näher der Abschiebungstermin kam, umso mehr litt sie unter Angstzuständen, zitterte am ganzen Körper und konnte kaum essen noch schlafen. Durch die Beratungsstelle des ökumenischen Projektes wurde ein Rechtsanwalt eingeschaltet, der in ihrem Auftrag einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihr daraufhin nach vierstündiger Anhörung kurz vor dem Abschiebetermin einen internationalen Schutzstatus zuerkannt.
Nun kann sich Frau J. ein Leben in Deutschland aufbauen, ohne Angst.
Entscheidung des Amtsgerichts Fritzlar zu einer Abschiebung nach der Dublin III-Verordnung
In einer Entscheidung des Amtsgerichts Fritzlar vom 06. Februar 2020 (AZ: 10 XIV 1/20 B) heißt es:
,“… die konkret in Betracht gezogenen Abschiebemaßnahmen erscheinen unter Kostengesichtspunkten, vor allem bei dem vorhersehbaren Erfolg der Maßnahme, nämlich der alsbaldigen Wiedereinreise des Betroffenen, derart eklatant unverhältnismäßig, dass eine Prüfung durch den Landesrechnungshof bzw. Bundesrechnungshof zweifelsohne zum Ergebnis kommen muss, dass hier allein Steuergelder in nicht unbeachtlicher Höhe massiv verschwendet werden.“
Abschiebungshaft in Ingelheim
Die Abschiebungshaft in Ingelheim existiert seit Mai 2001. Durch die Umbaumaßnahmen gibt es dort ca. 40 Plätze. Zurzeit ist die Abschiebungshaft nur mit drei Abschiebehäftlingen belegt. Im Jahr 2019 waren dort insgesamt 499 Personen inhaftiert.
Ökumenische Beratungsstelle von Caritas und Diakonie
Diakonie und Caritas bieten seit 2001 in ihrem ökumenischen Beratungsprojekt in der Abschiebungshaft in Ingelheim unabhängige Beratung im Umfang einer 0,5 Stelle an. Einmal pro Woche kommt ein im Asyl- und Ausländerrecht erfahrener Rechtanwalt bzw. eine Rechtsanwältin nach Ingelheim, um eine für die Inhaftierten kostenlose Rechtsberatung anzubieten. Die Beratungsstelle organisiert einen Pool von Sprachmittlern, auf den bei Verständigungsschwierigkeiten zurückgegriffen werden kann. Ergänzt wird die Arbeit einmal pro Woche durch die ehrenamtliche Beratung von Amnesty International, deren Tätigkeit ebenfalls von der Beratungsstelle organisiert wird.
Rechtshilfefonds
Der Rechtshilfefonds unterstützt Personen, die nicht über eigene Geldmittel für eine juristische Begleitung verfügen. Er wird von den Diözesancaritasverbänden in Mainz, Trier, Limburg und Speyer sowie den Diakonien in Hessen und im Rheinland gemeinsam finanziert. Mithilfe des Fonds werden Verfahren unterstützt, in denen die Anordnung der Abschiebungshaft überprüft wird. Der Rechtshilfefonds wird ebenso verwendet, um asyl- und ausländerrechtliche Schritte einzuleiten.
Für Rückfragen:
Denise Honsberg-Schreiber, Ökumenische Beratungsstelle in der GFA Ingelheim
Konrad-Adenauer-Str. 51, 55218 Ingelheim
Telefon: 06132 7807 1213
denise.honsberg-schreiber@diakonie-rheinhessen.de
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