Lindenfelser Ehepaar hat syrische „Patensöhne“
Eine wunderbare Freundschaft
bbiew
09.03.2016
bbiew
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Das Ehepaar Wiese hatte die vom Evangelischen Dekanat Bergstraße konzipierte Ausstellung „Fremde. Heimat“ besucht. 17 Porträts zeigen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten flüchten mussten. Sie geben Auskunft über ihre Fluchtgründe, ihre Erlebnisse, ihre Ängste, ihre Enttäuschungen und ihre Hoffnungen. Einer der Porträtierten ist Sami Hilani. „Ich kenne niemanden, der keine Angst um sein Leben hat“, sagt der 28jährige Syrer. Er ist aus seinem Heimatland geflohen und lebt seit Mai 2014 in Deutschland. Zu ihm nahm das Ehepaar Wiese Kontakt auf.
Sie trafen sich das erste Mal in einem Café, um sich – wie Heide Wiese sagt – „erst einmal zu beschnüffeln“. Und schon bei ihrem ersten persönlichen Kontakt stellte sich heraus: sie können sich „gut riechen“. Seit dem mailen, telefonieren oder treffen sie sich fast täglich. Dass sie nicht weit voneinander wohnen – die Wieses in Lindenfels, Sami Hiliani im benachbarten Fürth – kommt ihnen dabei entgegen. „Heide und Manfred sind sehr freundlich und helfen mir viel“, sagt Sami.
Die Kopie und das Original
Die Hilfe sieht z.B. so aus: gemeinsamer Besprechungstermin mit seiner Fallmanagerin beim Jobcenter in Mörlenbach, gemeinsamer Termin bei der Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule in Frankfurt, Vermittlung in einen weiteren Deutschkurs, Kontakte zu den Universitäten und vor allem und immer wieder Papiere, Belege, Zeugnisse.
Samis Zeugnisse waren in Syrien geblieben. Seine Eltern schickten ihm Farbkopien. Die Zeugnisse wurden ins Deutsche übersetzt. Alles schien geregelt. Doch das hessische Kultusministerium verlangte die Originale. Ein Ding der Unmöglichkeit: die Familie Hiliani in Damaskus war inzwischen ausgebombt, die Schule, auf die Sami in Damaskus ging, existiert nicht mehr. Heide Wiese telefonierte mit den zuständigen Anerkennungsstellen in Hessen, die aber nur Originale akzeptieren. Dagegen signalisierten die Unis in Mannheim und Heidelberg, die Kopien anerkennen zu wollen. „Das bekommen wir hin“, gibt sich Heide Wiese optimistisch. Das Ziel ist, für Sami im Wintersemester 2016 einen Studienplatz für IT-Management zu finden.
Damit nicht genug. Inzwischen hat das Ehepaar Wiese einen zweiten „Patensohn“. Es ist Milad Tourani, der sich mit Sami die Wohnung in Fürth teilt. Milad heißt auf Deutsch Weihnachten, er ist am 25. Dezember geboren und wie Sami katholischer Christ. Der Syrer hat vier Jahre als KFZ-Mechaniker gearbeitet, bevor er über die Türkei nach Deutschland flüchtete. Der 28jährige hat an den Autos gearbeitet, die in Deutschland produziert werden: BMW, Mercedes oder VW. Autos sind seine Welt – an ihnen möchte er mit seinen Händen arbeiten. Nur eine Bescheinigung über seine Berufstätigkeit und seine Kenntnisse hat er nicht. Das Ehepaar Wiese hat Kontakt zur Handwerkskammer aufgenommen, damit Milad an einem Anschlussqualifizierungsprogramm teilnehmen kann und er für seine zurückliegende Berufstätigkeit eine so genannte Gleichwertigkeitsbescheinigung bekommt. Sie suchen für ihn jetzt zum 1.Juli einen Ausbildungsplatz.
Orientierung im Behördendschungel
So gut die beiden Syrer inzwischen auch deutsch sprechen, so schwierig wäre es für sie, sich ohne Unterstützung bei den deutschen Behörden und Institutionen durch Paragraphen und Bestimmungen zu kämpfen. „Wir sind hartnäckig“ sagen Heide und Manfred Wiese. Beide haben vor ihrem Ruhestand als Volkswirte gearbeitet und kennen sich im Behördendschungel gut aus, was ihren beiden „Patensöhnen“ jetzt zu Gute kommt. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich die Betreuer im Flüchtlingsamt und im Jobcenter wirklich viel Mühe geben, aber wegen der großen Zahl überfordert sind und immer unter Zeitdruck arbeiten. Integration braucht aber Zeit“, betont Heidi Wiese.
Die „Patensöhne“ haben sich inzwischen zu einer „Patenfamilie“ entwickelt. Sami Hiliani setzte sich erfolgreich dafür ein, dass seine Mutter und Großmutter vom Erstaufnahmelager Gießen nach Gras-Ellenbach im Odenwald kommen konnten. Auch für Samis Mutter setzte sich Heide Wiese erfolgreich ein. „Die Mutter ist nicht nur Rechtsanwältin, sondern auch Schmuckdesignerin und möchte gerne ihre Schmuckkreationen ausstellen, sobald sie einen Aufenthaltstitel hat. Die Volksbank in Fürth, wo wir Kunden sind, hat mir spontan zugesagt, dass sie ihr eine Ausstellungsvitrine in der Bank kostenlos zur Verfügung stellt“. Während der Vater und die Geschwister von Sami noch in Syrien sind, konnten die Eltern von Milad Tourani nach Deutschland kommen. Für sie konnte bereits eine Wohnung in Fürth gefunden werden.
Etwas zurückgeben
Das Ehepaar Wiese sagt, sie könnten die Großeltern von Sami und Milad sein. Doch sie fühlen sich als Freunde der beiden, die zustimmend nicken und bestätigen: „Ja, wir sind Freunde.“ Die Wieses sind überzeugt, das die neuen Mitbürger das ganz normale Leben brauchen: Gespräche, auch wenn sie nicht sofort alles verstehen, Diskussionen über aktuelle Themen, nachfragen, ob sie Post bekommen haben, deren Inhalt ihnen unklar ist, sich erkundigen, ob sie etwas benötigen, was andere vielleicht ungenutzt im Keller stehen haben, sei es ein Fahrrad oder einen Computer. Auf die Frage, warum sie sich so für Flüchtlinge engagieren, sagt Heide Wiese: „Ich habe als junges Mädchen nach dem 2. Weltkrieg Care-Pakete aus den USA bekommen. Meine Großmutter hatte damals zu mir gesagt: ‚Irgendwann wirst Du mehr haben als andere. Dann musst Du auch wieder etwas zurückgeben‘“.
Wir schaffen das!
„Wenn der Krieg vorbei ist, will ich zurück“ hatte Sami Hiliani gesagt, als er im Spätsommer vergangenen Jahres für die Porträtreihe „Fremde. Heimat“ interviewt wurde. Gilt das heute auch noch? Seine Antwort ist erstaunlich: „Ich habe etwas von deutscher Geschichte gelernt. Nach dem 2. Weltkrieg war Deutschland zerstört, doch die Menschen haben es wieder aufgebaut. Genau das will ich in Syrien tun, wenn der Krieg vorbei ist“. Sami wie auch Milad sind allerdings pessimistisch, dass der Krieg bald zu Ende sein wird.
Der 24. Juni ist für beide ein wichtiges Datum. An dem Tag entscheidet sich, ob sie ihren B2- Deutschkurs bestehen oder nicht. Der Nachweis ist ein wichtiger Schritt für ihre weitere Ausbildung. In der Gruppe von 20 Teilnehmern sind Flüchtlinge in der Minderzahl, die meisten kommen aus verschiedenen EU-Staaten und der Kurs sei sehr, sehr schwer. Doch Milad sagt: „Wir schaffen das!“
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