Porträt
Im Pfarrhaus lebt jetzt eine interreligiöse Familie
sru/DekanatPfarrerin Charlotte Voß, ihr Lebensgefährte Adeel Khan und der knapp einjährige Sohn Jonas sind seit Kurzem in Reichelsheim.13.05.2021 sru Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Wir freuen uns, in Reichelsheim anzukommen und die Menschen kennenzulernen“, sagt Charlotte Voß. Wir, das sind die 38-jährige Pfarrerin, ihr Partner Adeel Khan (37) und Söhnchen Jonas, der diese Woche seinen ersten Geburtstag feiert. Der Odenwaldkreis ist ihr vertraut, zumindest in der Erbacher Gegend. Charlotte Voß‘ Großeltern haben in Dorf-Erbach gewohnt, und sie hat dort gerne viel Zeit verbracht.
Das Leben im Pfarrhaus ist in den ersten Tagen noch ein wenig provisorisch, das Ankommen durch Corona erschwert. Sie kenne leider bisher nur wenige Gemeindeglieder, sagt Charlotte Voß, habe aber schon nette Kontakte zu Kirchenvorstehern gehabt, und sie seien sehr herzlich empfangen worden. Die Pfarrerin hat angefangen, zusammen mit Mann und Kind Reichelsheim zu Fuß zu erkunden und das Gemeindegebiet mit dem Fahrrad. Das Pfarrhaus ist nur wenige Meter von der Michaelskirche, eine offene Kirche, entfernt. Sie habe schon öfters Menschen hinein- und hinausgehen sehen oder Dekanatskantor Matthias Ernst beim Orgelspielen und -unterricht gehört. „Ich kriege mit, dass in der Kirche Leben ist – und das finde ich schön.“
Themen Migration und Flucht – ein Herzensanliegen
Charlotte Voß ist in Darmstadt geboren und in Pfungstadt aufgewachsen. Sie hat in Marburg studiert und nach dem Examen weiter an der Uni als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet und ihre Promotion über Gerechtigkeit in der älteren Spruchweisheit (Altes Testament) angefangen. Parallel dazu hat sie den berufsbegleitenden Masterstudiengang Evangelische Theologie koordiniert. Ihr Vikariat, also die praktische Ausbildung zur Pfarrerin, hat sie in Seligenstadt-Mainhausen gemacht und ihr Spezialvikariat bei der Diakonie Frankfurt in der Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit, Migration, kurz: FIAM.
Die Themen Migration und Flucht liegen Charlotte Voß am Herzen. In Seligenstadt zum Beispiel war sie im Verein Seebrücke aktiv und hat zusammen mit ihrer Lehrpfarrerin Leonie Krauß-Buck über ein Jahr lang jeden Mittwoch auf dem Marktplatz Mahnwachen „Gegen das Sterben im Mittelmeer“ organisiert und inhaltlich gestaltet. Zudem unterstützt sie die Initiative United4Rescue, die das Rettungsschiff Sea-Watch4 im Auftrag der Evangelischen Kirche ins Mittelmeer entsendet, und gehört dem Verein „mAqom – Kirche und Zuflucht e.V.“ an. Darüber hinaus arbeitet Charlotte Voß im multikulturellen Redaktionsteam von www.menschen-wie-wir.de.
Charlotte Voß und ihr Partner Adeel Khan sind eine interreligiöse Familie. Er stammt aus Pakistan und ist Muslim. Die beiden haben sich 2015 an Weihnachten bei ihren Eltern kennengelernt, die in ihrem Ruhestand begonnen haben, jungen Geflüchteten Deutsch beizubringen.
Die alten Schriften haben mit unserem Leben zu tun
Zum Theologiestudium kam Charlotte Voß durch den Pfarrer ihrer Heimatgemeinde und den „tollen Religionsunterricht“. Schon als Jugendliche war sie bei Freizeiten dabei, mit 18 Jahren wurde sie Kirchenvorsteherin. „Diese Breite an Themen hat mich sehr interessiert“, sagt die Pfarrerin. Dabei ist es auch nach Studienende geblieben. Wenn andere über die alten Sprachen schimpfen, die ja mit einem Theologie-Studium einhergehen, sagt sie: „Hebräisch liebe ich.“ Aktuelle ethische, gesellschaftskritische Themen beschäftigen sie. Charlotte Voß gehört dem „Heidelberger Arbeitskreis für sozialgeschichtliche Exegese“ an, in dem Hochschullehrende, junge Forschende und in verschiedenen Praxisfeldern Tätige die biblischen Schriften und zeitgenössische Entwicklungen erforschen und Bibeltexte auf ihre heutige Relevanz hin untersuchen. Wie sind die Texte entstanden? In welchem Kontext? Gibt es Ähnlichkeiten zu heute? Die Bibel ist für sie ein gewachsenes Wort, durch Menschen entstanden und trotzdem relevant. Die biblischen Geschichten begleiten sie, trösten sie und geben ihr Mut. Die Pfarrerin liest sie als Glaubenserfahrungen von anderen Menschen mit vielen verschiedenen Gottesbildern.
In Reichelsheim will Charlotte Voß ein offenes Ohr haben für die Menschen, ihre Sorgen und Nöte. Sie möchte, dass sich die Menschen angenommen fühlen. Wichtig ist aber erst einmal, einander kennenzulernen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die intensivsten Gespräche oft auf der Schwelle stattfinden.“ Ein anderes Anliegen ist Charlotte Voß ein nachhaltiger Lebensstil. „Ich bin selbst als Privatperson dabei zu sehen, wie ich nachhaltig leben kann – Müll vermeiden, Ressourcen schonen, fairer Handel, das sind mir wichtige Themen.“ Sie spielt gerne Querflöte und Saxofon, joggt und liest gerne, wenn es die knappe Zeit mit Baby zulässt.
Am Pfingstmontag, 24. Mai, wird Charlotte Voß in der Evangelischen Michaelskirche in Reichelsheim ordiniert – gemäß der Corona-Bestimmungen im kleinen Kreis. Weitere Gottesdienste mit ihr finden sich auf der Homepage der Gemeinde: michaelsgemeinde-reichelsheim.ekhn.de
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