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Überwachung

Leben ohne Privatsphäre

Peter Howell/istockphoto.comRiesen-Auge blickt auf Menschen

Günter Wallraff wurde jahrzehntelang von Geheimdiensten überwacht, Christian Heller dokumentiert sein gesamtes Leben freiwillig im Internet. Wo verläuft die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre im Leben mit Netz?

Charlotte MattesGünter Wallraff im Museum für KommunikationGünter Wallraff im Museum für Kommunikation

Facebook hat eingeräumt, mehr als 600.000 seiner Nutzer zu Forschungszwecken beobachtet zu haben. Den ahnungslosen Usern wurden in der Timeline nur positive oder negative Postings angezeigt, um herauszufinden, ob sich Gefühle auch virtuell übertragen. Auch das Datingportal okcupid hat mit den Daten seiner Nutzer und ihrem Sozialverhalten experimentiert, ihnen etwa angezeigt, sie würden besser zusammen passen als tatsächlich errechnet. Trotzdem nutzen Millionen Deutsche Facebook, kaufen bei eBay und Amazon oder suchen einen Partner im Netz. Um ihre Daten scheinen sie sich keine Sorgen zu machen, trotz des NSA-Skandals.

Wallraff ergreift immer noch Vorsichtsmaßnahmen 

Dazu gehört der Journalist Günter Wallraff nicht. „Ich habe die Info erhalten, dass ich von 1967 bis 1997 ununterbrochen überwacht worden bin“, berichtet er in einer Podiumsdiskussion im Frankfurter Museum für Kommunikation. „Die Nachrichtendienste waren ständige, treue Begleiter.“ Er weiß das mit Sicherheit, denn er hat Einsicht in seine Akten eingefordert.

Manchmal, sagt der Enthüllungsjournalist, habe er auch selbst bemerkt, wie er überwacht wurde. Am Knacken in der Telefonleitung etwa. Ob er heute noch überwacht wird, weiß er nicht. Aber es gebe Anhaltspunkte dafür. Sein Telefon streike oft. Wenn er etwas geheim halten will, ergreift er Vorsichtsmaßnahmen, nutzt beispielsweise Prepaid-Karten für wichtige Telefonate.

Christian Heller dokumentiert alles online

Christan Heller hingegen will nichts verbergen. Er protokolliert sein Leben detailliert im Internet. Auf plomlompom.de kann jeder nachlesen, wie viele Stunden er geschlafen hat, wann er sich zuletzt die Zähne geputzt oder etwas gegessen hat. „Wenn Daten anfallen, sollte ich sie auch öffentlich machen. Ich glaube aber nicht, dass es sonderlich viele Leute interessiert“, erklärt er nach einem Vortrag in der Evangelischen Akademie in Frankfurt. Denn er listet seine Angaben einfach nur auf, spannend aufbereitet ist die Seite nicht. Nur eines findet man dort kaum: Freunde und andere Menschen, mit denen er in Kontakt steht. Diese nennt er nur dann, wenn sie ihm das explizit gestattet haben. „Das muss jeder für sich selber entscheiden.“

Für Unternehmen wie Facebook oder Amazon, aber auch für Hacker und Geheimdienste ist es einfacher als je zuvor, andere Menschen auszuspionieren, Daten über sie zu sammeln und diese zu einem bestimmten Zweck zu verwenden. Die Menschen liefern diese Daten oft freiwillig, beantworten alle Fragen, die ihnen gestellt werden und dokumentieren online, wen sie wann wo getroffen haben. „Die Menschen fordern Datensicherheit, handeln aber nicht entsprechend“, bemerkt der datenschutzkritische Heller.

Mails lieber verschlüsseln

Das ist laut IT-Berater Andreas Waschbüsch wahrnehmungspsychologisch begründet: „Beim Surfen auf Amazon oder bei Facebook sitze ich allein im geschlossenen Raum vor meinem eigenen Profil, aber es ist so, als würde ich in der Fußgängerzone einen Fragebogen von Fremden ausfüllen. Das würde ich doch freiwillig nie tun.“ Der evangelische Theologe ist Mitglied im Chaos Computer Club und sorgt in seiner Schule in München als Datenschutzbeauftragter dafür, dass die Daten von Schülern nicht missbraucht werden. Soziale Medien nutzt Waschbüsch nur zu Schulungszwecken, um Jugendliche zu sensibilisieren. Seine Mails verschlüsselt er mit speziellen Programmen wie PGP oder GPG und auf Cloud-Dienste wie Dropbox verzichtet er ganz.

Er warnt eindringlich davor, zu viele persönliche Daten im Internet preiszugeben. „Man kann mit spezieller Software sehr einfach Personen auslesen, also genug Informationen sammeln, um sich selbst im Netz als eine andere Person auszugeben. Im Extremfall kann einer Person, deren Lebenswandel gläsern ist, auch leichter eine Straftat ‚untergeschoben‘ werden. Dieser Missbrauchsgefahr muss man vorbeugen.“ 

 „Wenn jeder alles sieht, sieht auch jeder, wer wem hinterherspäht“

Heller hat sich anders entschieden. In seinem Buch „Post-Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“ argumentiert er mit dem Transparenz-Prinzip, in dem jeder alles von allen erfahren kann und nicht, wie es derzeit noch der Fall ist, nur die Geheimdienste, die Regierung oder Unternehmen wie Facebook. Dadurch entstünde eine neue Art der Kontrolle, Korruption, Betrug und Diebstahl würden erschwert. „Wenn jeder alles sieht, sieht auch jeder, wer wem hinterherspäht“, erklärt er.

Die Freiheit des anderen ist die Grenze

Gegen eine Überwachung, eine Kamera in seinem Schlafzimmer hätte er grundsätzlich nichts einzuwenden. Eine Grenze aber zieht selbst er: „Wenn es die Freiheit anderer Leute beschränkt, da könnte es gefährlich werden. Wenn sie die Daten weiterreichen oder versuchen, jemanden damit zu erpressen.“

„Die Freiheit des Einzelnen ist unverfügbar für andere“, betont auch der Theologe Waschbüsch. „Man sollte sich nicht an Stelle Gottes setzen.“ Die EKHN ermutigt Gemeinden und Pfarrer, ins Netz zu gehen, die Landeskirche selbst ist in sozialen Netzwerken aktiv und bietet Schulungen an, weist aber auch die Gefahren des Netzes hin. Für Pressesprecher Volker Rahn ist der einzelne Nutzer in der Verantwortung, auf die eigenen Datenspuren im Netz zu achten.

Das Internet ist ein neuer Weg

In Bezug auf den anderen aber mahnt er zur Rücksicht auf die menschliche Würde, die in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen begründet sei: „Jeder Menschen hat als Geschöpf eine besondere Beziehung zum Schöpfer. Jeder ist damit ein ganz besonderes Individuum und dennoch durch das Band der Geschöpflichkeit miteinander verbunden.“ Das solle die Menschen auch im Internet füreinander sensibel machen und davor schützen, die Würde des anderen anzutasten. Trotzdem ist das Internet für die EKHN ein gangbarer Weg, um mit Menschen in Dialog zu treten.

Das Internet abschaffen will auch Waschbüsch nicht, aber er empfiehlt einen „aufgeklärten Umgang“ damit. „Eine Mail ist weniger geheim als eine Postkarte, die hat etwa sechs bis zehn potentielle Leser. Eine Mail kann von einer vielfachen Zahl an Leuten gelesen werden“, verdeutlicht der Computerexperte. Deshalb sensibilisiert er bereits Grundschüler. Und auch Wallraff verteufelt das Internet nicht: „Es ist eine Chance, Unrecht weltweit bekannt zu machen.“

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