Abschiebungshaft afghanischer Staatsangehöriger
Menschen- und Freiheitsrechte sind nicht verhandelbar – auch nicht bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht!
Berndt Biewendt
04.07.2025
bj
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Abschiebungshaft ist keine Strafhaft. Sie dient ausschließlich der Sicherung der Ausreise und darf nur dann angeordnet werden, wenn sie unverzichtbar ist und mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Sie ist strikt zu begrenzen und unzulässig, sobald feststeht, dass eine Abschiebung innerhalb der nächsten drei Monate ohne Verschulden der betroffenen Person nicht möglich ist. Jeder Eingriff in das Grundrecht der Freiheit bedarf einer präzisen richterlichen Anordnung und intensiven Prüfung der Haftgründe.
Dennoch sind seit Anfang des Jahres mindestens vier afghanische Staatsangehörige in der Abschiebungshaftanstalt Ingelheim inhaftiert, und bundesweit sitzen bereits seit Monaten 40 bis 50 Menschen in ähnlicher Situation in Abschiebehaftanstalten. Sie sollen in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, weil ihnen Straftaten zur Last gelegt werden, sie wegen Straftaten verurteilt wurden oder als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gelten.
Wir stellen unmissverständlich klar:
- Angesichts der andauernden und absehbar katastrophalen Menschenrechtslage in Afghanistan verletzt jede solche Abschiebung dorthin das grund- und völkerrechtliche Verbot, Menschen durch staatliches Handeln einer konkreten Gefahr für Leib und Leben auszuset-zen. Das gilt ausnahmslos – auch für Menschen, die Straftaten begangen haben oder von denen eine Gefahr ausgeht. Auch sie können ihr Recht auf Leben nicht verwirken. Sie müssen eine verhängte Strafe in Deutschland verbüßen. Eine anschließende Abschiebung verbietet sich, solange sich die Situation im Herkunftsland nicht nachweisbar und nachhal-tig verbessert hat.
- Abschiebungen nach Afghanistan, gleich über welche Wege und Kooperationen sie durchgesetzt werden, sind aus menschenrechtlicher Perspektive unverantwortbar. Sie helfen, das Terrorregime der Taliban international „salonfähig“ zu machen, und sie schwächen all diejenigen, die sich in und außerhalb des Landes für eine friedliche Überwindung der Taliban-Herrschaft einsetzen.
An diesen Positionen halten wir fest!
Wir sind in großer Sorge darüber, dass Menschen in Rheinland-Pfalz und anderswo bereits seit Monaten inhaftiert werden, ohne dass eine realistische und belastbare Prognose über den Termin und die Durchführbarkeit der Abschiebung vorliegt. Die Begründung, eine zeitnahe Rückführung von afghanischen Straftätern und „Gefährdern“ sei politisch gewollt und „ausgemachtes Ziel der aktuellen Bundesregierung“, sowie der Verweis darauf, dass am 30. August 2024 ein – einmaliger – Flug nach Afghanistan stattgefunden habe, sind aus unserer Sicht nicht tragfähig.
Dass Abschiebungshaftbeschlüsse schon in der Vergangenheit vielfach (zu) schnell ergangen sind und einer erneuten gerichtlichen Überprüfung nicht Stand gehalten haben, zeigt u.a. eine aktuelle Statistik von Rechtsanwalt Peter Fahlbusch aus Hannover. Er hat in den letzten 24 Jahren bundesweit 2.673 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten, von denen - nach ihm vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen - mehr als die Hälfte aller Abschiebungshäftlinge mindestens vorübergehend, teilweise aber auch durchgehend rechtswidrig inhaftiert waren.
Die Politik setzt durch immer neue Haftgründe falsche Signale und öffnet der missbräuchlichen Anwendung eines Instruments Tür und Tor, das „ultima ratio“ sein sollte. Das Resultat ist eine alarmierende Normalisierung von Freiheitsentziehung bei Menschen, deren einzige „Schuld“ darin besteht, ausreisepflichtig zu sein.
Wir sind besonders besorgt darüber, dass diese Entwicklung weitgehend unwidersprochen bleibt – und dass sie politisch und gesellschaftlich durch eine Haltung gedeckt zu sein scheint, der zufolge der „Zweck der Durchsetzung der Ausreisepflicht“ nahezu jedes Mittel rechtfertigt.
Gerade jetzt, wo Menschen- und Freiheitsrechte zur Verhandlungsmasse zu werden drohen, braucht es eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die der migrationspolitischen Relativierung von Menschen- und Freiheitsrechten mit den Mitteln und Argumenten des Rechtsstaates entschieden entgegentritt.
Darauf bauen und darauf vertrauen wir! Das erwarten und fordern wir! Im Interesse der Menschenwürde. Im Interesse der Unteilbarkeit der Menschenrechte. Im Interesse unserer Demokratie.
Albrecht Bähr, Arbeitsgemeinschaft Diakonie in Rheinland-Pfalz
Dr. Natalie Lochmann, Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V.
Torsten Jäger, Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz
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