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Gesprächsabend

Nicht müde werden und vermitteln

Zu einem Gesprächsabend zur Ausstellung Fremde.Heimat luden der Bund der Vertriebenen, das evangelische Dekanat Ried, das CaritasNetzwerk Gernsheim und die Bürgerstiftung Gernsheim am Freitag, 10. März ins Peter-Schöffer-Haus ein. Dabei stellten Ehrenamtliche aus Gernsheim, Riedstadt und Hofheim ihre Arbeit in der Hilfe für die Geflüchteten ebenso vor wie die Caritas und das evangelische Dekanat. Zudem kam als Zeuge einer anderen Flucht-Zeit ein deutscher Heimatvertriebener zu Wort.

Heidi Schließer-Sekullav.l.n.r.: Helmut Brandl (Sudetendeutscher, Stockstadt), Christel Lottermann (Ehrenamtliche, Hofheim), Hans-Josef Becker (Bund der Vertriebenen, Bürgerstiftung), Adamu Mamo Kebede (Äthiopien), Dr. Eva Roth (Freundeskreis Flüchtlinge Riedstadt), Liselotte Schade (Ehrenamtliche, Gernsheim), Christine Müller (CaritasNetzwerk Gernsheim), Heike Kissel (Ev. Dekanat Ried)

Zu Beginn des Abends fragt Adamu Mamo Kebede in einem seiner Gedichte: „Warum bin ich heimatlos? Warum bin ich Flüchtling? Was war meine Heimat? Und was ist sie heute?“ Der 33-Jährige Flüchtling, der seit drei Jahren in Gernsheim wohnt, schreibt über seine verlorene Heimat in Äthiopien, um seine Fluchterlebnisse zu verarbeiten.

Hans- Josef Becker vom Bund der Vertriebenen erinnert in seiner Begrüßung die etwa 60 Gäste des Gesprächsabends daran, dass es in 2016 nach Angaben des Bundesinnenministeriums 988 Angriffe auf Flüchtlingsheime gab. Darüber hinaus wurden 217 Mal Hilfsorganisationen oder freiwillige Asyl-Helfer attackiert. „Man darf der Politik der Kanzlerin und der Bundesregierung kritisch gegenüber stehen. Aber nicht mit einer hasardischen Aufgeputschtheit, einem blindwütigen Stammtischgeschwätz, das Fakten bewusst verdreht und an der Wirklichkeit nicht mehr interessiert ist“, so Becker.

Zu dem Gesprächsabend ist auch Liselotte Schade gekommen. Sie hat Adamu Mamo Kebede bei einem Spielenachmittag kennen gelernt: „Er hat mich gefragt, ob ich ihm bei seinen Deutschhausaufgaben helfen kann. So ging es los.“ Seitdem treffen sie sich regelmäßig. Wenn ihnen der deutsche Wortschatz fehlt, sprechen sie englisch. Sie reden über ihre unterschiedlichen Kulturen und den christlichen Glauben. Adamu Mamo Kebede nennt sie liebevoll „Mutter“. Sie sagt: „Es ist mir ein weiterer Sohn geschenkt worden- ganz ohne Geburtsschmerz.“ Liselotte Schade hat selbst Fluchterfahrung und dreieinhalb Jahre ihrer Kindheit in einem Flüchtlingslager gelebt. „Adamu ist heute wieder fröhlich- Gott sei dank“, fasst sie ihre Worte zusammen.

Bewegt schildert Eva Roth aus Erfelden die Arbeit des „Freundeskreis Flüchtlinge in Riedstadt“. Bereits 2014 hat sich dort auf Initiative des dortigen Pfarrers Jürgen Bode eine Gruppe Ehrenamtlicher aus dem kirchlichen und gemeindlichen Kontext auf den Weg gemacht, um Flüchtlinge zu begleiten. Eva Roth gibt Deutschunterricht und leistet praktische Alltagshilfe. „Dass Afghanistan als sogenanntes sicheres Herkunftsland bezeichnet wird und Menschen die von dort geflohen sind, wieder dorthin abgeschoben werden, kann ich nicht nachvollziehen“, so Roth.  Aktuell unterstützt sie eine afghanische Familie bei der rechtlichen Prüfung einer drohenden Abschiebung und sie setzt sich ein, dass sie bleiben können.
Christel Lottermann erzählt an diesem Abend von der Situation in Hofheim. Mit zwei weiteren ehrenamtlichen Frauen hat sie die Bedingungen der Unterbringung versucht zu verbessern. Der nächste Schritt war die Organisation der Sprachkurse: „Das ist die schwierigste Hürde.“ Die ehrenamtlichen Frauen begleiten die Flüchtlinge bei Arztbesuchen und helfen im Alltag. „Es ist ein Geschenk, dass wir mithelfen können“, beschreibt Lottermann ihr Engagement. Trotz der vielen positiven Erlebnisse berichtet sie auch von kulturellen Unterschiedlichkeiten, die unter anderem die Rolle der Frau und der Gleichberechtigung betreffen. Sie verschweigt auch nicht, dass es einige Menschen gibt, die ihr Engagement weniger verstehen. „Eine der wichtigsten Aufgaben in der heutigen Zeit ist, nicht müde zu werden und immer wieder zu vermitteln“, appelliert Lottermann an die Zuhörerschaft.

Der Stockstädter Helmut Brandl knüpft direkt da an und spricht über die Vertreibung seiner Familie aus dem Sudetenland 1946. Bewegt schildert er den Weg und die Bedingungen der Vertreibung nach Kupferberg in der Oberpfalz. Auch er habe erfahren, wie sehr Menschen, die auf der Flucht sind, darauf angewiesen sind, willkommen geheißen zu werden. So war der damalig 6-Jährige in seiner neuen Heimat oft mit Häme und Argwohn konfrontiert: „Schläge waren nach der Schule auf dem Nachhauseweg nichts Außergewöhnliches. Oft nahmen wir, um der Situation zu entgehen, große Umwege in Kauf.“

Der Abend klingt in kleineren Gesprächsrunden aus. Integration braucht Zeit und Raum. Beides bot der Abend allen Beteiligten.

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