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FIAM-INFO

„Nichts ist gut in Afghanistan“ - Was jetzt passieren muss

Über Jahre hinweg haben sich die Bundesregierung und teilweise auch Landesregierungen geweigert, die hinreichend belegte menschenfeindliche Realität in Afghanistan zur Kenntnis und ernst zu nehmen. Die Diakonie Hessen-Abteilung Flucht, Interkulturelle Arbeit und Migration greift das Zitat von Margot Käßmann auf und nennt die Maßnahmen, die jetzt im Bund sowie in Hessen und Rheinland-Pfalz zeitnah umgesetzt werden müssten.

Noch Anfang August 2021 wollte der Bund mit einigen Landesregierungen Menschen in das lebensgefährliche Chaos in Afghanistan abschieben, während sie Ortskräfte weitgehend im Stich gelassen und Visa-Anträge nachzugsberechtigter Familienangehöriger hier lebender Afghaninnen und Afghanen schleppend bis gar nicht bearbeitet haben.

Die Diakonie Hessen sagt, was jetzt nach dem Totalversagen der Regierung passieren muss.

Notwendige Maßnahmen von Bund und den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz

Der Bund und die Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz müssen jetzt alles unternehmen, um so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan zu retten, sie unbürokratisch aufzunehmen und hier lebenden Afghaninnen und Afghanen eine langfristige Integrationsperspektive zu eröffnen.

Folgende Maßnahmen sind aus unserer Sicht auf der Ebene von Bund und Ländern zeitnah umzusetzen.

Maßnahmen auf Bundesebene

  • Evakuierung aller Ortskräfte mit ihren Familienangehörigen. Es müssen nicht nur die Menschen aufgenommen werden, die für die Bundeswehr bzw. deren Dienstleister tätig waren, sondern auch diejenigen, die für Bundesministerien und zugehörige Organisationen gearbeitet haben, auch wenn deren Tätigkeit länger zurückliegt.
  • Etablierung klarer Melde- und Kommunikationsstrukturen, bei denen sich die Betroffenen registrieren können und die für alle Betroffenen zugänglich sind.
  • Implementierung eines unbürokratischen Bundesprogramms für vulnerable und besonders gefährdete Gruppen.
  • Schnelle Bearbeitung von Familiennachzugsverfahren. Anträge müssen sowohl aus Afghanistan als auch in allen deutschen Auslandsvertretungen möglich sein. Dabei müssen Visaerteilungen per Mail bzw. Interviews per Video-Schalte möglich gemacht werden, gegebenenfalls Visa nach der Einreise erteilt werden. Außerdem sollte von den strengen Erteilungsvoraussetzungen wie beispielsweise Sprachnachweisen in dieser Krisensituation abgesehen werden. Hierfür ist das Personal in den deutschen Auslandsvertretungen erheblich aufzustocken und vom Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die notwendige Unterstützung zu leisten.
  • Aufhebung des Entscheidungsstopps und sofortige Aufnahme der Durchführung von Asylverfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
  • Beschluss eines generellen Abschiebungsstopps.
  • Durch die gebotene Aufnahme von Personen aus Afghanistan kommen vielfach Menschen zu uns, die durch die Erlebnisse stark belastet oder traumatisiert sind. Da schon jetzt die bestehenden Versorgungssysteme überlastet sind, muss eine nachhaltige psychosoziale Versorgung von Geflüchteten auf- und ausgebaut werden.

Maßnahmen auf der Ebene der Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz

  • Zügige Verteilung aller afghanischen Asylsuchenden aus den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, da absehbar keine Ausreise der Betroffenen möglich ist (§§ 47 und 49 AsylG). Angebot von Sprach- und Integrationskursen im laufenden Asylverfahren.

Erläuterung: Der vom BAMF erlassene Entscheidungsstopp führt dazu, dass afghanische Antragstellende in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu 18 Monaten bleiben müssen. Dies führt zu einer Überlastung des Aufnahmesystems und ist vor dem Hintergrund steigender Inzidenzzahlen aufgrund der beengten Unterbringungssituation unverantwortlich.[1]

  • Solange es keinen generellen Abschiebungsstopp auf Bundesebene gibt: Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan per Erlass. Erteilung von langfristigen Duldungen für ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige.[2]
  • Ausüben des Ermessens bei Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis (AE) nach § 25 Abs. 5 AufenthG für vollziehbar ausreisepflichtige Afghaninnen und Afghanen von Amts wegen (also ohne Antrag der Betroffenen), da eine Ausreise auf absehbare Zeit nicht möglich ist.
  • Prüfung von Bleiberechtsmöglichkeiten nach:

§ 25a AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden)

§ 25b AufenthG (Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration)

  • Keine weitere Erteilung von „Duldungen light“ (§ 60b AufenthG), da keine Ausreise möglich und deshalb keine selbst zu vertretenden Gründe angeführt werden können, die angeblich eine Ausreise verhindern.
  • Erteilung von Ausbildungsduldungen (§ 60c AufenthG) und Beschäftigungsduldungen (§ 60d AufenthG) wo immer möglich, um langfristige Perspektiven zu ermöglichen.
  • Anweisungen an die Ausländerbehörden, ihre Zustimmung zur Familienzusammenführung großzügig zu erteilen, auch bei subsidiär Schutzberechtigten und Personen mit Abschiebungsverbot sowie bei Familienangehörigen außerhalb der Kernfamilie (§ 36 Abs. 2 AufenthG).

Wir fordern die Landesregierungen in Hessen und Rheinland-Pfalz auf, sich auf Bundesebene für die Umsetzung der oben genannten Maßnahmen einzusetzen.

Information der Diakonie Hessen-Abteilung  FIAM - Abteilung für Flucht, Interkulturelle Arbeit und Migration, veröffentlicht am 19. August 2021

Der Titel des Beitrags bezieht sich auf ein Zitat der damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann aus dem Jahr 2010.

Fußnoten

[1] In Hessen wurden seit Beginn dieses Jahres 1.889 Asylsuchende aus Afghanistan in den EAE aufgenommen. Das sind knapp 40 Prozent aller Neuzuzüge.

[2] Das ist im aktuellen hessischen Koalitionsvertrag sogar explizit vorgesehen.

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