Karlsruhe stoppt verfassungswidrige Praxis
Polizei braucht Durchsuchungsbeschluss für Abschiebung aus dem Schlafzimmer
© Diakonie/Judith Glaubitz
20.11.2025
bj
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2019 drangen Polizeibeamt:innen mit einem Rammbock in das Zimmer des guineischen Beschwerdeführers in einem Berliner Übergangswohnheim ein, um ihn abzuschieben. Eine richterliche Anordnung hatten die Beamt:innen nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden, dass grundsätzlich eine Durchsuchung vorliegt, wenn eine Person zum Zwecke der Abschiebung in ihrem Zimmer in einer Unterkunft aufgesucht wird.
„Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone, sondern als einziger und elementarer Rückzugsraum grundrechtlich besonders geschützt. Wenn die Polizei hier eindringen will, braucht sie einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss – Was selbstverständlich sein müsste, hat Karlsruhe heute klargestellt und damit der aktuellen Abschiebepraxis der Polizei eine klare Absage erteilt“, sagt Sarah Lincoln, Rechtsanwältin und Juristin bei der GFF.
Bundesverfassungsgericht: Richtervorbehalt darf nicht unterlaufen werden
Das Bundesverfassungsgericht korrigiert mit diesem Beschluss die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und stellt klar: Um ein Betreten als Durchsuchung zu qualifizieren, muss sich die gesuchte Person nicht innerhalb der Wohnung verstecken. Das würde zu zufälligen Ergebnissen führen und den präventiven Zweck des Richtervorbehalts unterlaufen.
„Geflüchtete Menschen haben Grundrechte, die nicht einfach ignoriert werden können, nur weil es um eine Abschiebung geht. Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist in Zeiten, in denen die Rechte geflüchteter Menschen immer weiter in Frage gestellt werden, ein wichtiger Denkzettel für die Regierung, in ihrer Migrationspolitik Grund- und Menschenrechte zu achten“, betont Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.
Durchsuchungsbeschluss für Abschiebung aus Zimmer in Geflüchtetenunterkunft erforderlich
Mit der 2019 eingeführten Regelung in Paragraf 58 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz hatte die damalige Bundesregierung versucht, die grundrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Wohnung zu unterlaufen: Die Regelung sah vor, dass die Polizei die Zimmer betreten darf, um eine Person abzuschieben, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich die Person aktuell in der Wohnung aufhält. Ein Durchsuchungsbeschluss war danach nicht notwendig.
„Karlsruhe stellt nun klar, dass ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich ist, solange die Polizei vor Beginn der Maßnahme keine sichere Kenntnis darüber hat, dass und wo sich die Person konkret im Raum befindet. Für die 2019 eingeführte Regelung in § 58 Abs. 5 AufenthG bleibt damit nahezu kein Anwendungsbereich mehr“, so Christoph Tometten, Rechtsanwalt des Beschwerdeführers.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Februar 2024 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen.
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