Solidarität mit Lesbos
Schutzsuchenden droht Katastrophe
bbiewStacheldraht am Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Die meisten Geflüchteten sind inzwischen in Zelten rund um das eigentliche Lager untergebracht.30.03.2020 bbiew Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
„Die Lage schreit zum Himmel. Die Insel Lesbos wird derzeit ihrem Schicksal überlassen.“, sagt Sabine Müller-Langsdorf. Die Pfarrerin für Friedensarbeit im Zentrum Ökumene der beiden Landeskirchen Hessen und Nassau sowie Kurhessen-Waldeck, hat die Begegnungsreisen „Europa mit menschlichem Antlitz“ organisiert, die auch Lesbos zum Ziel hatten. Nach erneuter Kontaktaufnahme mit den Organisationen und Menschen, die sie dort kennengelernt hatte, steht für die Pfarrerin fest: „Angesichts der Coronakrise braucht es direkte medizinische Hilfe. Eine Ausbreitung des Virus erfordert für Inseln wie Lesbos Schutzmaßnahmen für die gesamte Bevölkerung. Ich unterstütze ausdrücklich den Ansatz, direkte Hilfe an staatliche Krankenhäuser zu leisten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aktion der Schweizer Guido Fluri-Stiftung in Kooperation mit Pro Asyl, an der sich auch die Evangelische Reformierte Kirche der Schweiz beteiligt.“ In Rücksprache mit dem Hospital in der Inselhautstadt Mytilini aus Lesbos würden Mittel und Geräte zur Verfügung gestellt, um das Krankenhaus auf eine Arbeit im Ausnahmezustand vorzubereiten. Das staatliche Krankenhaus habe nur eine Kapazität von 250 Betten, die bei einem Ausbruch der Epidemie kaum ausreichen dürften.
Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich-Bedford-Strohm, hatte eine umgehende Aufnahme von geflüchteten Kindern aus Lagern auf den griechischen Inseln gefordert. „Den Schutzsuchenden in den Flüchtlingslagern droht eine Katastrophe, sobald die Erkrankung Covid 19 dort ausbricht. Sie müssen sofort an einen sicheren Ort gebracht werden."
Recht auf Asyl ausgesetzt
Lokale Netzwerke wie „Lesvos Solidarity“ stehen nach Angaben von Pfarrerin Müller-Langsdorf vor dem Aus. Das von ihnen betriebene Restaurant NAN und das Mosaik Support Center hätten wegen der Corona-Krise schließen müssen. Das von ihnen selbst organisierte Flüchtlingscamp PIKPA, unterliege ebenfalls den Sicherheitsbestimmungen im Kampf gegen das Corona-Virus. Seit Februar konzentriere sich PIKPA in Kooperation mit UNICEF auf die Begleitung von 30 minderjährigen Geflüchteten. „Die lokalen Gruppen vor Ort sind diejenigen, die seit Jahren solidarische Netzwerke vor Ort gebaut haben. Sie werden auch bleiben, wenn sich die Krise abschwäche. Derzeit haben sie aber keine Möglichkeit zu arbeiten. Damit verlieren sie sehr schnell jegliche Basis“, so Müller-Langsdorf.
Sorge bereite ihr auch, dass Flüchtlinge zunehmend entrechtet würden. “Durch die Aufhebung des Rechts auf Asyl in Griechenland werden Flüchtlinge qua Gesetz kriminalisiert und jeglichen Rechtsschutzes beraubt.“ In einer Umgebung, die zunehmend zum rechtsfreien Raum werde, seien der Zugang zu rechtlicher Beratung, Rechtsanwälten und die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen wichtig. Dies täten unter anderem die Organisationen Refugee support Aegean und Fenixaid, die sich bemühen, Flüchtlinge rechtlich zu unterstützen.
Für einen globalen Waffenstillstand
Die Friedenspfarrerin beklagt zudem, dass es kaum mehr Berichte und Bilder über die Situation an der griechisch-türkischen Grenze gebe und fragt: „Wo sind die Geflüchteten? Was begegnet den Helferinnen und Helfern? Wie werden Journalisten und NGOs behandelt, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren? Was tun Polizei, Küstenwache, Grenzschutz?“ Flüchtende Menschen würden in den Bauch von Kriegsschiffen gesperrt, weil die Lager auf den Inseln maßlos überfüllt seien. Europa habe genug Platz für Menschlichkeit: Auf politischer Ebene forderten Petitionen wie #leavenoonebehind von der EU, die überfüllten Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln in der Ostägäis zu evakuieren sowie Quarantäne- und Schutzmaßnahmen, den Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Asylverfahren sicherzustellen.
Pfarrerin Müller-Langsdorf unterstützt ausdrücklich den Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres für einen globalen Waffenstillstand: „Ein Virus kennt keine Grenzen. Kein Gummigeschoss trifft ihn, Grenzen lassen ihn völlig unbeeindruckt und in seinem zerstörerischen Potential wäre er im Bauch eines Kriegsschiffs wahrlich angemessen verwahrt.“
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