Rechtshilfefonds
Vermehrt Frauen in Abschiebungshaft
Istock/Juanmonino08.06.2019 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Auf sie werde immer weniger Rücksicht genommen, so Knapp weiter. Dies belegten auch Vorfälle bei Abschiebungen im Oktober 2018 und Januar 2019 in Rheinland-Pfalz.
Diakonie Hessen-Vorstand Knapp:
Menschenrechte müssen Maßstab bei Abschiebungen sein
Besonders Frauen drohe bei einer Rücküberstellung in den für sie zuständigen europäischen Staat neben Obdachlosigkeit und mangelnder Versorgung auch sexuelle Übergriffe. „Wir haben uns in Europa und in Deutschland zur Achtung von Menschenrechten und Menschenwürde verpflichtet. Diese müssen auch für Menschen in Abschiebungshaft gelten und Maßstab sein für aufenthaltsrechtliche Entscheidungen“, so Knapp weiter.
Diözesancaritasdirektorin Adick: Psycho-soziale Beratung für geflohene Frauen nötig
Diözesancaritasdirektorin Nicola Adick forderte das rheinland-pfälzische Frauenministerium zum Handeln auf: „Frauen, die Erfahrungen mit Menschenhandel und Zwangsprostitution gemacht haben, brauchen ein psycho-soziales Beratungsangebot mit spezialisierten Beraterinnen. Hier wäre eine Ausweitung der Beratung, wie sie von der Frauenorganisation SOLWODI* auf Anfrage angeboten wird, sinnvoll. Diese muss regelmäßig, niederschwellig mit direktem und unbürokratischen Zugang zu den betroffenen Frauen sein. Dazu fehlen aber die finanziellen Mittel“, sagte Adick.
Da die Europäische Union im sogenannten Dublin-Verfahren weder eine ausgeglichene Verteilung von Asylsuchenden noch eine annähernd gleichwertige Versorgung regelt, sind viele geflüchtete Menschen mitunter viele Jahre quer durch Europa unterwegs. Viele von ihnen wollen zu Familienangehörigen gelangen, die in anderen EU-Staaten als Flüchtlinge oder Schutzberechtigte anerkannt sind. Dies ist jedoch nur in sehr engen familiären Bindungen der Kernfamilie möglich. Ein großer Anteil derjenigen, die derzeit nach Deutschland kommen, muss wieder gehen. Versuchen sie dies zu verhindern, droht ihnen vielfach Abschiebungshaft.
Adick: Freiheit ist Grundrecht – auch für Geflüchtete
„Wir wollen den Menschen in dieser fast ausweglosen Situation beistehen“, sagte die Diözesancaritasdirektorin. „Das Recht auf Freiheit ist ein existenzielles Grundrecht; der Umgang damit ist aber in der Praxis gerade im Hinblick auf geflüchtete Menschen mehr als fragwürdig. Deshalb haben wir schon 2001 das Ökumenische Beratungsprojekt ins Leben gerufen.“ Der Rechtshilfefonds von Caritas und Diakonie gibt Menschen in Abschiebungshaft die Möglichkeit, ihre rechtliche Situation überprüfen zu lassen. „Der Grundsatz, dass Abschiebungshaft nur als ‚ultima ratio‘ angewandt werden darf, muss wieder stärker in den Vordergrund treten“, sagte Diakonie Hessen-Vorstand Knapp.
Im vergangenen Jahr waren mit insgesamt 452 Neuzugängen zwar weniger Personen in der rheinland-pfälzischen Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim untergebracht als im Vorjahr. Grund hierfür war jedoch, dass über Monate hinweg einzelne Flure des Haftgebäudes wegen Renovierungsarbeiten geschlossen waren. Etwa die Hälfte der inhaftierten Personen wurden von rheinland-pfälzischen Ausländerbehörden in Gewahrsam genommen. Ungefähr 70 Prozent der Personen, mit denen die Beratungsstelle Kontakt hatte, unterlagen der europäischen Dublin-Regelung.
Knapp: Abschiebungen müssen verhältnismäßig bleiben
Im Jahr 2018 wurden 65 Personen in Abschiebungshaftverfahren durch die Rechtsanwälte des Rechtshilfefonds unterstützt. In 20 Fällen kam es direkt zu Entlassungen, in neun Fällen stellten Gerichte fest, dass die Haft rechtswidrig war. In weiteren neun Fällen läuft zum jetzigen Zeitpunkt noch ein entsprechender Antrag. Adick: „Für uns ist dies Grund genug, in unserem Engagement nicht nachzulassen.“ Knapp ergänzt: „Wir fordern die politisch Verantwortlichen und die beteiligten Ausländerbehörden auf, bei allem politischen Druck den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen zu verlieren.“
*Internationale Menschenrechts- und Hilfsorganisation. SOLWODI steht für SOlidarity with Women in DIstress“ – Solidariät mit Frauen in Not. Mehr Infos unter: www.solwodi.de
Stichwort: Abschiebungshaft in Ingelheim
Die Abschiebungshaft in Ingelheim existiert seit Mai 2001. Die aktuelle Haftkapazität beträgt 40 Plätze. Bereits Ende des Jahres 2015 begannen durch diverse Gesetzesverschärfungen die Haftzahlen zu steigen. Dieser Trend setzt sich aktuell fort und wird auch zukünftig bestimmend sein. Im März waren 31 Personen in Haft (Stand 12.03.2019).
In der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige in Ingelheim werden vor allem Abschiebungsgefangene aus den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland untergebracht. Zudem stehen Plätze für Frauen aus Nordrhein-Westfalen zur Verfügung. Die Belegung von Haftplätzen durch andere Bundesländer ist aufgrund der großen Aktivität rheinland-pfälzischer Ausländerbehörden zurückgegangen. Auch wurden in den vergangenen beiden Jahren neue Einrichtungen in anderen Bundesländern eröffnet.
Etwa die Hälfte der inhaftierten Personen kamen auf Anträge rheinland-pfälzischer Ausländerbehörden hin in Haft, ca. 120 Personen wurden aus dem Saarland nach Ingelheim gebracht, wobei die Bundespolizei für das Gros dieser Anträge sorgte.
Stichwort: Ökumenische Beratungsstelle von Caritas und Diakonie
Diakonie und Caritas bieten seit 2001 in ihrem ökumenischen Beratungsprojekt in der Abschiebungshaft in Ingelheim unabhängige Beratung im Umfang einer 0,5 Stelle an. Einmal pro Woche kommt ein/e im Asyl- und Ausländerrecht erfahrene/r Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt nach Ingelheim, um eine für die Inhaftierten kostenlose Rechtsberatung anzubieten. Die Beratungsstelle organisiert einen Pool von Sprachmittlern, auf den bei Verständigungsschwierigkeiten zurückgegriffen werden kann. Unterstützung finden die Beratungsstelle und die inhaftierten Menschen durch die unentbehrliche ehrenamtliche Beratung von Amnesty International an gleicher Stelle.
Stichwort: Rechtshilfefonds
Der Rechtshilfefonds unterstützt Personen, die nicht über eigene Geldmittel verfügen. Er wird von den Diözesan-Caritasverbänden in Mainz, Trier, Limburg und Speyer sowie den Diakonien in Hessen und im Rheinland gemeinsam finanziert. Mithilfe des Fonds werden Verfahren unterstützt, in denen die Anordnung der Abschiebungshaft überprüft wird. Der Rechtshilfefonds wird ebenso verwendet, um asyl- und ausländerrechtliche Schritte einzuleiten.
Für Rückfragen: Uli Sextro, Tel.: 06131 32741-26, Landesweiter Referent für Flucht und Migration, Arbeitsgemeinschaft Diakonie Rheinland-Pfalz, Große Bleiche 47, 55116 Mainz.
Diese Seite:Download PDFTeilenDrucken