Ankommen fördern
Zivilgesellschaftliches Bündnis fordert: AnkER-Zentren abschaffen
Gerd Altmann/Pixabay30.07.2021 bj Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Seit August 2018 wurden für die Aufnahme von Flüchtlingen so genannte Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückkehr-Zentren (kurz: „AnkER-Zentren“) und vergleichbare Einrichtungen geschaffen. Die Aufnahme von Flüchtlingen wird damit von Beginn an mit Blick auf eine mögliche Ausreise oder Abschiebung organisiert. Die Zeit, in der Asylsuchende in Landeseinrichtungen verbleiben müssen, wurde deutlich verlängert: Asylsuchende verbringen nunmehr bis zu 18 Monate, teilweise sogar mehrere Jahre, in häufig abgelegenen Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer, Familien bis zu sechs Monate.
Statt in unseren Kommunen gut anzukommen und sich einzufinden, leben viele der geflüchteten Menschen gesellschaftlich isoliert und ohne Privatsphäre in Massenunterkünften. Eigeninitiative und Selbsthilfe sind enge Grenzen gesetzt.
Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen
AnkER-Zentren führen vielfach zu Isolation, Entrechtung und Ausgrenzung. Durch die Zeit in den AnkER-Zentren verlieren geflüchtete Menschen wertvolle Zeit für ihr Ankommen und ihre Integration. Die Unterbringung erschwert den Kontakt zu Ehrenamtlichen, Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen, wodurch sie ihre Rechte zum Teil nur eingeschränkt wahrnehmen können. In AnkER-Zentren untergebrachte Menschen unterliegen neun Monate lang einem Arbeitsverbot und haben nur eingeschränkten Zugang zu Bildungsangeboten. Die Konfrontation der Asylsuchenden noch während des laufenden Asylverfahrens mit dem Thema Rückkehr löst Verunsicherung und Angst aus. Das Aufnahmeverfahren und die Bedingungen in AnkER-Zentren verletzen damit die Würde und die Rechte der Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen und anderen besonders Schutzbedürftigen. Zudem besteht die Gefahr, dass große Zentren für geflüchtete Menschen in der Bevölkerung zu Ablehnung führen und aus rassistischen Motiven instrumentalisiert werden.
Aufruf für eine zukunftsorientierte Erstaufnahme von Asylsuchenden in Deutschland
Die mit den AnkER-Zentren verbundenen Ziele der Bundesregierung wie z.B. eine Beschleunigung der Asylverfahren oder der Aufenthaltsbeendigung wurden laut Evaluation des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht erreicht, das Konzept ist gescheitert.
Deshalb fordern wir:
- Die Abschaffung von AnkER-Zentren und ähnlich konzipierten Einrichtungen sowie die gesetzliche Begrenzung der Zeit in einer Erstaufnahmeeinrichtung auf wenige Wochen, maximal drei Monate.
- Wir wollen Erstaufnahmeeinrichtungen, die das Ankommen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und sie bestmöglich auf das Asylverfahren und den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten.
Dies beinhaltet:
- Systematische Identifizierung von vulnerablen Personen und ihrer Bedarfe, Umsetzung der daraus folgenden Garantien im Asylverfahren und sozialrechtlichen Ansprüche;
- Gewährleistung eines fairen Asylverfahrens; Sicherstellung einer erreichbaren, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung für die gesamte Verfahrensdauer; Zugang von ehrenamtlichen Initiativen und hauptamtlichen Beratenden;
- Krankenbehandlung im Rahmen der notwendigen medizinischen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen; Kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscherleistungen;
- Möglichst wohnungsähnliche Unterbringung unter Wahrung der Privatsphäre; effektiven Schutz vor Gewalt; Möglichkeiten zur eigenständigen Organisation des Alltags und Abschaffung des Arbeitsverbotes;
- Sozialleistungen, die das gesetzlich festgelegte Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens nicht unterschreiten, ohne entmündigende Elemente wie die Sachleistungsversorgung;
- Berücksichtigung der Wünsche der Betroffenen bezüglich des künftigen Wohnorts; Unterstützung bei der Suche nach spezifischen Beratungsstellen und Behandlungseinrichtungen an einem künftigen Wohnort;
- Integration und soziale Teilhabe von Anfang an.
Wir stehen für die Rechte von geflüchteten Menschen, für ihren Schutz und ihre schnelle und umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Eine Unterbringungsform, die die Menschenwürde verletzt, zur Isolation führt und vor allen Dingen auf Abschiebung orientiert ist, ist ein Irrweg und schadet uns allen. Gemeinsam können wir eine gute Erstaufnahme umsetzen! Der neue Bundestag muss hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen und förderliche Rahmenbedingungen schaffen.
Dieser Aufruf ist eine Initiative von Diakonie Deutschland, Deutschem Caritasverband, Paritätischem Gesamtverband, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband und PRO ASYL.
Liste der Unterzeichnenden für den Aufruf: Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen (Stand 27. Juli 2021)
Bundesweit
Amnesty International Deutschland
Arbeiterwohlfahrt Bundesverband
Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e. V.
Deutscher Caritasverband
Diakonie Deutschland
Handicap International e.V.
Internationaler Bund, freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit
Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (deutsche Sektion der Women’s International League for Peace and Freedom)
JUMEN e.V. – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland
KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)
Neue Richtervereinigung, Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten e.V.
Paritätischer Gesamtverband
PRO ASYL
Seebrücke – Schafft Sichere Häfen
Überregional
Aktiv für Flüchtlinge RLP
Arbeitsausschuss Migration der LAG FW NRW
Arbeitsgemeinschaft der Ev. Jugend NRW
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW
AWO Landesverband Sachsen
Bayerischer Flüchtlingsrat e.V.
Caritas in NRW – Diözesan-Caritasverbände für die (Erz-) Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn
Der Paritätische Hessen – Der Paritätische Wohlfahrtsverband, Landesverband Hessen e. V.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e. V.
Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.
Diakonie Hessen
Diakonie Mitteldeutschland
Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V.
Diakonie Schleswig-Holstein
Diakonisches Werk Baden
Diakonisches Werk Bayern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern – – Landesverband der Inneren Mission e.V.
Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) e.V.
Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche der Pfalz
Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens e.V.
Diakonisches Werk Hamburg
Diakonisches Werk Mecklenburg-Vorpommern e. V.
Diakonisches Werk Württemberg
Fachverband Migration und Flucht der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat NRW
Flüchtlingsrat RLP e.V.
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Fluchtpunkt – Kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge, Hamburg
Hessischer Flüchtlingsrat
Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalen
Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA) e.V.
Saarländischer Flüchtlingsrat e.V.
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Verein für Berliner Stadtmission
Zuflucht – Ökumenische Ausländerarbeit e.V.
Regional
Diakonie München und Oberbayern – Innere Mission München e.V.
Diakonie Paderborn-Höxter e.V.
Diakonie Rostocker Stadtmission e.V.
Diakonie Ruhr-Hellweg e.V.
Diakonisches Werk der Ev. Kirchenkreise Trier und Simmern-Trarbach
Diakonisches Werk Hamburg-West/Südholstein
GGUA Flüchtlingshilfe e.V.
Hoyerswerda hilft mit Herz
Initiativkreis: Menschen.Würdig
verikom – Verbund für interkulturelle Kommunikation und Bildung e.V.
Weitere Informationen zum Aufruf und zu AnkER-Zentren mit Zitaten von Bewohnern hier
Laut BAMF wurden die ersten sieben AnkER-Einrichtungen in Bayern (Augsburg/Donauwörth, Bamberg, Deggendorf, Manching, Regensburg, Schweinfurt und Zirndorf) am 1. August 2018 in Betrieb genommen, ebenso die sächsische AnkER-Einrichtung in Dresden. Am 1. Oktober 2018 öffnete die AnkER-Einrichtung in Lebach im Saarland.
Inzwischen gibt es AnkER-Zentren in Bayern, Sachsen und im Saarland. Funktionsgleiche Einrichtungen existieren in Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Erstaufnahmeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz unterscheiden sich insofern, als eine vom Land finanzierte Asylverfahrensberatung stattfindet und Aktivitäten und Projekte von NGOs ausdrücklich unterstützt und zugelassen werden. Auch in rheinland-pfälzischen Erstaufnahmeeinrichtungen leiden die Betroffenen allerdings unter den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmenbedingungen (Lange Aufenthaltszeiten, Unterbringung in Mehrbettzimmern, Arbeitsverbot, gekürzte Leistungen und beschränkte gesellschaftliche Teilhabe).
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