Südindien
Weihnachten bei 30°C im Schatten
privatChrstina Weidl (Mitte) mit den Kindern der Gemeinde St. Bethany, die sie im Keyboardspiel unterrichtet.20.12.2014 esz Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Christina Weidl (Evangelische Sonntags-Zeitung)
Aus der Kirche tönen die etwas unbeholfenen Klänge von „Vom Himmel hoch“. Prashant verspielt sich, er stockt, dann beginnt er noch einmal von neuem. Bis zu ihrem Weihnachtsfest müssen die Kinder noch einiges üben, um ihre Stücke auf dem Keyboard vorzuspielen. In dem englischen Gesangbuch der Gemeinde St. Bethany im südindischen Hyderabad finde ich tatsächlich einige deutsche Weihnachtslieder. Von „Stille Nacht“ bis „Es ist ein Ros entsprungen“ ist fast alles dabei. Beim Klang dieser Lieder kommen in mir, trotz der sommerlichen dreißig Grad, ein paar Weihnachtsgefühle auf.
Weihnachtsbäume, Krippen und Kirchenbesuch
Seit August mache ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in Indien. Zu meiner Arbeit gehört auch der Keyboardunterricht, den ich und meine Partnerin Ulrike den Kindern in der protestantischen Gemeinde geben. Durch den Kontakt zu indischen Christen erfahre ich auch vieles über die lokalen Weihnachtsbräuche. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das indische Weihnachtsfest überraschend wenig vom deutschen. Es gibt Weihnachtsbäume und Krippen, am 25. Dezember steht der Kirchenbesuch auf dem Programm, und sogar Santa Claus besucht die Kinder. Allerdings steckt der Unterschied im Detail.
Kein Tannengrün
Da im größten Teil Indiens keine Nadelbäume wachsen, werden als Weihnachtsbäume oft Bananenstauden oder Mangobäume mit Lichterketten geschmückt. In der Adventszeit gibt es in der Gemeinde mehrere Weihnachtsfeste. Es gibt besondere Feiern für Jugendliche, Frauen und Kinder. Für das Fest der Kinder proben wir auch die Weihnachtslieder.
Am Weihnachtstag selbst versammelt sich die gesamte Gemeinde, das sind über 1000 Mitglieder, zur Abendmesse in der Kirche. „An Weihnachten kommen auch die Leute, die normalerweise nicht oft in den Gottesdienst gehen“, erklärt Reverend Samuel Prashan Rufus. In dieser Hinsicht ist es wie in Deutschland.
Fleisch und Süßigkeiten genießen
Nach dem Gottesdienst feiern die meisten Christen zu Hause mit der Familie. Zur Feier des Tages gibt es Fleischgerichte. „Jedes Jahr kommen alle Verwandten zusammen. Meine Brüder und ich wechseln uns damit ab, die Feier auszurichten“, sagt Rufus. Es ist auch üblich, an Weihnachten die Heimatstadt zu besuchen. „Ich bin in einem winzigen Dorf aufgewachsen. Trotzdem fahren wir jedes Jahr dorthin.“ Auf meine Frage, was den Kindern am besten an Weihnachten gefällt, lautet die Antwort zu meiner Überraschung nicht „die Geschenke“. Wenn Santa Claus die Kinder besucht, bringt er nur Kleinigkeiten mit. Es gibt Früchte, Süßigkeiten und einen Kalender für das neue Jahr. Im Vordergrund stehen die Feier mit der Familie und die in der Gemeinde.
Sternensinger kommen in der Adventszeit
„Am liebsten mag ich das Programm zum Kinderweihnachtsfest mit Krippenspiel“, sagt Tony. Für ihr Fest üben die Kinder in der Sonntagsschule fleißig Tänze, Lieder und Theaterstücke ein. Es gibt auch Sternsinger, die in der Adventszeit von Tür zu Tür ziehen und traditionelle Lieder auf Telugu, der lokalen Sprache der Region, vortragen. Die Sternsinger lesen einen Bibelvers vor und sagen ein Gebet für die Familie.
Bedeutung von Weihnachten
Neben Ostern ist Weihnachten der einzige staatliche christliche Feiertag und daher von großer Bedeutung für die Christen. Weihnachten wird als das wichtigste Fest des Jahres gefeiert. Obwohl die indischen Christen eine kleine Minderheit darstellen, bilden sie die drittgrößte Religionsgemeinschaft. Und „klein“ ist relativ, bedenkt man die riesigen Bevölkerungszahlen Indiens. Vor allem in Ost- und Südindien ist das Christentum verbreitet. Auch in Hyderabad, wo ich lebe, gibt es einige christliche Gemeinden, protestantische und katholische.
Mitglieder anderer Religionen feiern mit
In Indien ist Weihnachten auch ein Fest der Nächstenliebe. Die Gemeinden organisieren Essens- und Kleiderspenden, die an Bedürftige verteilt werden. Ein schöner Brauch ist, dass die Hausfrauen verschiedene Süßigkeiten herstellen, die meistens mit Honig oder Milch zubereitet werden. Diese werden an Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen verteilt, unabhängig von deren Religion. Der Umgang mit Mitgliedern anderer Religionen wirkt selbstverständlich. „Ich habe einige hinduistische Freunde und ihre Familien eingeladen, dieses Jahr mit uns Weihnachten zu feiern. Sie haben sofort zugesagt und werden für einige Tage bei uns wohnen“, sagt Rufus. Gleich darauf lädt er auch Ulrike und mich zum Weihnachtsfest ein. Für ihn wird ein Fest umso schöner, mit je mehr Menschen man es gemeinsam feiert.
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